Menü

Kommentar

Abfüh­rungspf­licht des Schuldners nach Freigabe seiner selbst­stän­digen Tätigkeit gemäß § 35 II InsO

I. Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Mit Schreiben vom 30.03.2009 gab der Kläger in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter gegenüber dem Beklagten dessen Vermögen aus seiner selbstständigen Tätigkeit als Zahnarzt gemäß § 35 Abs. 2 InsO frei und forderte ihn auf, Zahlungen nach § 295 Abs. 2 InsO an die Masse zu leisten.

Gemäß § 295 Abs. 2 InsO obliegt es dem Schuldner, der eine selbstständige Tätigkeit ausübt, die Insolvenzgläubiger durch Zahlungen an den Treuhänder so zu stellen, als wäre er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen. Diese Vorschrift, die unmittelbar nur für die Wohlverhaltensphase gilt, wird durch den Verweis in § 35 Abs. 2 S. 2 InsO für den Fall der Freigabe der selbstständigen Tätigkeit im laufenden Insolvenzverfahren für entsprechend anwendbar erklärt.

In Fortführung und Weiterentwicklung seiner bisherigen Rechtsprechung stellt der BGH fest, dass es sich bei der Abführungspflicht des Schuldners im laufenden Insolvenzverfahren – anders als in der Wohlverhaltensphase – nicht um eine bloße Obliegenheit handelt, deren Nichteinhaltung zur Versagung der Restschuldbefreiung führen kann. Vielmehr unterliegt der Schuldner einer echten Rechtspflicht, auf deren Einhaltung der Insolvenzverwalter einen unmittelbaren und einklagbaren Anspruch hat. Dieser Anspruch ist ggf. auf dem Prozesswege geltend zu machen.

Mit Beschluss vom 19.07.2012, IX ZB 188/09, hatte der BGH bereits entschieden, dass der Schuldner im Regelfall mindestens eine jährliche Zahlung an die Masse vorzunehmen hat. Hieraus folgert der BGH in seiner aktuellen Entscheidung, dass der Insolvenzverwalter im laufenden Insolvenzverfahren in der Regel nach Ablauf von 15 Monaten nach Wirksamwerden der Freigabeerklärung den Zahlungsanspruch gegen den Schuldner für diesen Zeitraum geltend machen kann.

Vom Ausgangspunkt her hat der Schuldner die pfändbaren Einkommensbestandteile an die Insolvenzmasse abzuführen, die er in einem fiktiven Anstellungsverhältnis erzielen würde. Eingeschränkt wird der Anspruch allerdings dadurch, dass der Schuldner im laufenden Insolvenzverfahren nur insoweit abführungspflichtig ist, als er tatsächlich Gewinne aus der selbstständigen Tätigkeit erwirtschaftet hat.

Der Schuldner ist dem Insolvenzverwalter gegenüber umfassend auskunftspflichtig sowohl hinsichtlich derjenigen Umstände, die für die Ermittlung des fiktiven Maßstabs erforderlich sind, aus denen sich die ihm mögliche abhängige Tätigkeit und das anzunehmende fiktive (Netto-)Einkommen ableiten lassen, als auch hinsichtlich der von ihm tatsächlich erzielten Gewinne.

II. Stellungnahme
Indem der BGH zugunsten des Insolvenzverwalters und damit letztlich zugunsten der Insolvenzgläubiger einen einklagbaren Anspruch auf Abführung der fiktiven pfändbaren Beträge im laufenden Insolvenzverfahren annimmt, entwickelt er seine Rechtsprechung konsequent fort. Begrüßenswert ist, dass damit dem Grunde nach Rechtssicherheit eingekehrt ist.

Die praktische Umsetzung wird allerdings noch mannigfaltige Probleme mit sich bringen. So wird ein Teil der Schuldner seiner Auskunftspflicht nur schleppend oder gar nicht nachkommen. Des Weiteren sind unterschiedliche Interpretationen hinsichtlich der vorgelegten Einnahmen-Überschuss-Rechnungen bzw. Betriebswirtschaftlichen Auswertungen nicht ungewöhnlich (Stichwort: „Armrechnen“). Auch die Ermittlung der fiktiven pfändbaren Beträge bereitet in der Praxis mitunter große Schwierigkeiten, insbesondere in Bezug auf diejenigen Berufe, in denen nicht ohne Weiteres sachverständige Auskünfte, z.B. bei der Industrie- und Handelskammer, eingeholt werden können. Insoweit kann sich der Insolvenzverwalter ggf. mit der Erhebung einer auf Auskunftserteilung und Zahlung gerichteten Stufenklage behelfen. Prozessual trifft den Schuldner die volle Darlegungs- und Beweislast, dass der von ihm erzielte Gewinn unterhalb der ermittelten pfändbaren Beträge bei abhängiger Tätigkeit bleibt und er deshalb von der Abführungspflicht teilweise oder vollständig befreit ist.

Soweit sich die Einnahmen des Schuldners aus seiner selbstständigen Tätigkeit in der Folgezeit negativ entwickeln, stellt sich wegen der naturgemäß nachträglichen Ermittlung der erzielten Überschüsse die Frage, aus welchen Mitteln der Schuldner seiner Abführungspflicht nachkommen soll. Erfahrungsgemäß sind die erwirtschafteten Überschüsse nicht selten flüchtig; die Bildung von Rücklagen ist bei Schuldnern eher selten anzutreffen.

Interessant ist die Rechtsauffassung des BGH zu der Auskunftspflicht des selbstständig tätigen Schuldners zu seinen tatsächlich erzielten Einkünften. Während Letzterer in der Wohlverhaltensphase einer solchen Verpflichtung nicht unterliegt, ist er im laufenden Insolvenzverfahren zur umfassenden Auskunft verpflichtet – jedenfalls soweit er sich auf eine Begrenzung seiner Abführungspflicht berufen möchte.

Diese Seite verwendet Cookies.

Bitte erlauben Sie den Einsatz von Cookies, damit Sie diese Seite in vollem Funktionsumfang nutzen können.

Speichern Abbrechen Ok, einverstanden Tracking ablehnen