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Kommentar

BGH: Vorsatz­an­fechtung gem. § 133 InsO – tragfähiges Sanie­rungs­konzept kann Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gungs­vorsatz im Einzelfall aussch­ließen, auch wenn die Sanierung gescheitert ist

Mit nachstehend dargestellter Entscheidung bestätigt der BGH seine Rechtsprechung, dass die Kenntnis von der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit ihre Bedeutung als Beweisanzeichen für den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners und die Kenntnis des Gläubigers hiervon verlieren kann, wenn die angefochtene Rechtshandlung Bestandteil eines ernsthaften Sanierungsversuchs ist, auch wenn dieser letztlich fehlgeschlagen ist.

Sachverhalt aus BGH, IX ZR 22/15:

Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 21. März 2012 am 1. April 2012 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der S. GmbH & Co. KG (fortan: Schuldnerin). Diese hatte bei dem Beklagten beträchtliche Steuerschulden. Hierüber wurde im Februar 2010 eine Ratenzahlungsvereinbarung mit Vollstreckungsaufschub getroffen, welche die Schuldnerin nicht einhalten konnte. Mit anwaltlichem Schreiben vom 21. Dezember 2010 wandte sich die Schuldnerin an den Beklagten, teilte mit, dass eine hinreichende Zahlungsfähigkeit nicht mehr bestehe und die Schuldnerin mit Blick auf das Alter des Firmeninhabers nun abgewickelt werden solle. Hierzu werde ein außergerichtliches Schuldenbereinigungsverfahren angestrebt, das unter anderem einen Teilverzicht des Beklagten vorsehe. Dem stimmte der Beklagte mit Schreiben vom 11. Februar 2011 mit der Maßgabe zu, dass die Schuldnerin alle laufenden steuerlichen Verpflichtungen pünktlich erledige und die weit überwiegende Anzahl der anderen Gläubiger der Lösung ebenfalls zustimme. Der in Aussicht gestellte Teilerlass wurde schließlich am 16. September 2011 gewährt.

Der Kläger begehrt gestützt auf § 133 Abs. 1, § 143 InsO die Rückzahlung der im Zeitraum zwischen Mai 2010 und Februar 2012 von der Schuldnerin an den Beklagten geleisteten Zahlungen, soweit diese noch nicht zurückgezahlt wurden. Das Berufungsgericht hat das der Klage in vollem Umfang stattgebende Urteil des Landgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Anmerkung und Entscheidungsgründe:

Der BGH bestätigt mit diesem Urteil im Wesentlichen seine Rechtsprechungsgrundsätze zur Prüfung und Bewertung von anfechtungsrelevanten Sachverhaltskonstellationen der letzten Jahre, insbesondere BGH, Urteil vom 12. Mai 2016, IX ZR 65/14:
Der BGH wiederholt zunächst seine bisherige Rechtsprechung, wonach auch bei erkannter (drohender) Zahlungsunfähigkeit eine Rechtshandlung von einem anfechtungsrechtlich unbedenklichen Willen geleitet sein kann und das Bewusstsein der Benachteiligung anderer Gläubiger in den Hintergrund tritt (BGH, Urteil vom 12. Mai 2016, IX ZR 65/14, Rn. 14 mwN). Bei den Anforderungen, die hieran gestellt werden, ist in Bezug auf den Vorsatz des Schuldners und die Kenntnis des Anfechtungsgegners hiervon zu unterscheiden (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2016, IX ZR 65/14, Rn. 15 ff und Rn. 24 ff). Der Anfechtungsgegner muss konkrete Umstände darlegen und beweisen, die es naheliegend erscheinen lassen, dass ihm im Hinblick auf den Sanierungsversuch der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners unbekannt geblieben ist.
Ein Sanierungsplan muss, um zu einer Verneinung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes des Insolvenzschuldners zu führen,
zwar nicht bestimmten formalen Erfordernissen entsprechen, wie sie das Institut für Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. in dem IDW Standard S6 (IDW S6) oder das Institut für die Standardisierung von Unternehmenssanierungen (ISU) als Mindestanforderungen an Sanierungskonzepte aufgestellt haben (BGH, Urteil vom 12. Mai 2016, IX ZR 65/14, Rn. 19).

Um die Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO zu widerlegen, ist jedoch Voraussetzung auf Schuldnerseite, dass zu der Zeit der angefochtenen Handlung

  1. ein schlüssiges, von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgehendes Sanierungskonzept vorlag,
  2. das mindestens in den Anfängen schon in die Tat umgesetzt war und
  3. die ernsthafte und begründete Aussicht auf Erfolg rechtfertigte; die bloße Hoffnung des Schuldners auf eine Sanierung räumt seinen Benachteiligungsvorsatz nicht aus (BGH, Urteil vom 12. Mai 2016, IX ZR 65/14, Rn. 15 mwN).

Der BGH konkretisiert die Anforderungen im Einzelnen wie folgt weiter:
Sowohl für die Frage der Erkennbarkeit der Ausgangslage als auch für die Prognose der Durchführbarkeit ist auf die Beurteilung eines unvoreingenommenen branchenkundigen Fachmanns abzustellen, dem die vorgeschriebenen oder üblichen Buchhaltungsunterlagen zeitnah vorliegen. Erforderlich sind eine Analyse der Verluste und der Möglichkeit deren künftiger Vermeidung, eine Beurteilung der Erfolgsaussichten und der Rentabilität des Unternehmens in der Zukunft und Maßnahmen zur Vermeidung oder Beseitigung der (drohenden) Insolvenzreife.

Bei einem Sanierungsvergleich müssen zumindest die Art und Höhe der Verbindlichkeiten, die Art und Zahl der Gläubiger und die zur Sanierung erforderlichen Quote des Erlasses der Forderungen festgestellt werden. Da eine Zustimmung aller Gläubiger regelmäßig nicht zu erreichen ist, muss eine Zustimmungsquote nach Schuldenstand festgelegt werden, gegebenenfalls für unterschiedliche Arten von Gläubigergruppen, sowie die Behandlung nicht verzichtender Gläubiger. Gegebenenfalls sind Art und Höhe einzuwerbenden frischen Kapitals darzustellen sowie die Chance, dieses tatsächlich zu gewinnen (BGH, Urteil vom 12. Mai 2016, IX ZR 65/14, Rn. 18 mwN).

Nach der vorstehenden Entscheidung des BGH bleiben die Anforderungen an ein den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz ausschleißendes Sanierungsverhalten der späteren Insolvenzschuldnerin hoch. Maßgeblich wird stets die konkrete Einzelfallbetrachtung des Sanierungskonzeptes und seiner Umsetzungsschritte sein. Den Gläubiger, der über die (drohende) Zahlungsunfähigkeit des Schuldners und die Gläubigerbenachteiligung unterrichtet ist, trifft die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er spätere Zahlungen auf der Grundlage eines schlüssigen Sanierungskonzepts erlangt hat (BGH, Urteil vom 3. April 2014 - IX ZR 201/13, NZI 2014, 650 Rn. 40 mwN; Urteil vom 21. Januar 2016 - IX ZR 84/13, NZI 2016, 355 Rn. 8; vom 12. Mai 2016, IX ZR 65/14, Rn. 23).

Der Anfechtungsgegner muss also in einem solchen Fall zumindest konkrete Umstände darlegen und beweisen, die es naheliegend erscheinen lassen, dass ihm im Hinblick auf den Sanierungsversuch der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin unbekannt geblieben war (BGH, Urteil vom 12. Mai 2016, IX ZR 65/14, Rn. 23 mwN). Der BGH stellt auch klar, dass den Angaben der Schuldnerin oder ihres beauftragten Sanierungsberaters vertraut werden darf, solange keine (erheblichen) Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass getäuscht werden soll oder dass der Sanierungsplan keine Aussicht auf Erfolg hat (BGH, Urteil vom 12. Mai 2016, IX ZR 65/14, Rn. 27).

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