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Kommentar

Erfor­der­lichkeit der Inanspruch­nahme eines Komman­di­tisten zur Befrie­digung der Gesell­schafts­gläu­biger

Leitsatz: 

Bei der Prüfung, ob eine Inanspruchnahme des Kommanditisten zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich ist, sind nicht nur die zur Tabelle festgestellten, sondern auch vom Insolvenzverwalter bestrittene Forderungsanmeldungen zu berücksichtigen, sofern eine erfolgreiche Inanspruchnahme der Masse wegen dieser Forderungen noch ernsthaft in Betracht kommt.

Sachverhalt:

Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger ist Insolvenzverwalter einer Schiffsfondsgesellschaft in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft, über dessen Vermögen mit Beschluss vom 07.11.2012 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Der Beklagte ist mit einer Einlage in Höhe von 55.000 € als Kommanditist an der Schuldnerin beteiligt. In den Jahren 2003 bis 2007 erhielt der Beklagte nicht durch Gewinne gedeckte Ausschüttungen in Höhe von 24.750 €. Der Kläger verlangt die Rückzahlung dieses Betrages unter dem Gesichtspunkt der teilweisen Rückgewähr der geleisteten Kommanditeinlage.

Das LG Koblenz hat den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung verurteilt. Auf die Berufung des Beklagten hat das OLG Koblenz die Klage abgewiesen. Der BGH stellt mit dieser Entscheidung das landgerichtliche Urteil wieder her.

Entscheidungsgründe:

Das OLG vertrat die Auffassung, dass der Kläger den Beklagten nicht auf Rückzahlung der Ausschüttungen gemäß §§ 171 Abs. 1 und 2, 172 Abs. 4 HGB in Anspruch nehmen könne, da das Gericht die Erforderlichkeit der Inanspruchnahme des Beklagten zur Gläubigerbefriedigung ablehnte. Ohne Darlegung der vom Insolvenzkonto beglichenen Verfahrenskosten und Masseverbindlichkeiten könne nicht festgestellt werden, ob die Masse bei zutreffender Berechnung ausreiche, um die festgestellten Forderungen zu befriedigen. Hinzu komme, dass der Kläger keine Angaben dazu gemacht habe, in welcher Höhe ihm bisher Zahlungen anderer Kommanditisten zugeflossen seien. Diese Zahlungen müssten ohne Abzug von Zahlungen auf Masseverbindlichkeiten und Verfahrenskosten dem Massebestand hinzugerechnet werden, um die Höhe der zur Gläubigerbefriedigung zur Verfügung stehenden Masse zu ermitteln.

Der BGH bestätigt mit dieser Entscheidung zunächst, dass dem Kommanditisten der Einwand zusteht, dass die zurückgeforderten Ausschüttungen auch zur Tilgung der Insolvenzforderungen erforderlich sein müssen. Die Darlegungs- und Beweislast trägt der Gesellschafter, wobei dem Verwalter eine sekundäre Darlegungslast obliegt. Das ist insoweit erstmal nichts Neues (vgl. BGH, Urteil vom 21.07.2020 - II ZR 175/19, ZIP 2020, 1869 Rn. 21 mwN).

Zum anderen bekräftigt der BGH seine Rechtsprechung auch dahingehend, dass die Erforderlichkeit der Inanspruchnahme des Kommanditisten davon abhängt, in welchem Umfang die von seiner Haftung umfassten Forderungen bereits durch Zahlungen anderer Gesellschafter auf ihre Haftungsschuld gedeckt sind, und zum anderen davon, ob die zur Verfügung stehende Insolvenzmasse voraussichtlich ausreicht, um einen noch verbleibenden Restbetrag zu decken. Auch diese Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme nach §§ 171 Abs. 1 und 2, 172 Abs. 4 HGB sind „alter Wein in neuen Schläuchen“ (vgl. BGH, Urteil vom 21.07.2020 - II ZR 175/19, ZIP 2020, 1869 Rn. 25, 32).

Hierfür hat der beklagte Kommanditist schlüssig vorzutragen, dass die von seiner Außenhaftung erfassten Gesellschaftsschulden bereits durch Zahlungen anderer Gesellschafter auf ihre Haftungsschuld ganz oder teilweise gedeckt sind bzw. die zur Verfügung stehende Insolvenzmasse voraussichtlich zur Deckung eines danach verbleibenden Restbetrages zumindest in Höhe eines Teils der Klageforderung ausreicht.

Diesbezüglich war der Einwand des Beklagten, dass der Kläger auch die übrigen Kommanditisten im Umfang von 1,3 Mio. € in Anspruch nehme, unerheblich. Denn in dem Fall überstiegen die angemeldeten unbestrittenen und bestrittenen Forderungen (2.552.735,56 €) die Summe der Masse (1.208.527,71 €) und der vom Beklagten behaupteten Ansprüche gegenüber den übrigen Kommanditisten (1,3 Mio. €) um 44.207,85 € (BGH, aaO, juris Rn. 11)

Die praktische Neuerkenntnis ist also die Folgende: Entscheidend bei der Prüfung der Erforderlichkeit der Inanspruchnahme gemäß §§ 171 Abs. 1 und 2, 172 Abs. 4 HGB sind also nicht nur die zur Tabelle festgestellten, sondern auch vom Verwalter bestrittenen Forderungsanmeldungen, sofern eine erfolgreiche Inanspruchnahme der Masse wegen dieser Forderungen noch ernsthaft in Betracht kommt (BGH, aaO, juris Rn. 12). Dahinter steckt der Gedanke, dass die Deckung der bestrittenen Forderung erforderlich sein kann, weil der gegen sie erhobene Widerspruch bekanntlich durch Feststellungklage (§ 179 InsO) beseitigt werden kann. Zwar setzt sich der Verwalter dem Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens (§ 242 BGB) aus, wenn er den Kommanditisten wegen einer Haftung für bestrittene Forderung in Anspruch nimmt. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass der Widerspruch gegen die Forderungsanmeldung noch durch eine Feststellungsklage beseitigt wird. Denn dann ist der Verwalter berechtigt, den Kommanditisten auch vorsorglich zwecks Bildung adäquater Rückstellungen für bestrittene Forderungen in Anspruch zu nehmen. Diesen Punkt haben einige OLGs bisher unterschiedlich gesehen (vgl. OLG Hamburg, ZIP 2018, 1940, 1941; ZIP 2019, 185, 186; a.A. OLG Celle, NZG 2019, 304, 305; OLG Schleswig, Urteil vom 7. September 2016 - 9 U 9/16, juris Rn. 24 f.).

Der BGH stellt im nächsten Schritt auch einen Negativ-Katalog auf, nach dem sich der Verwalter bei der Frage orientieren kann, in welchen Fällen eine erfolgreiche Inanspruchnahme der Masse wegen der bestrittenen Forderungen nicht mehr ernsthaft in Betracht kommt:

Der Verwalter muss nicht mehr mit einer Inanspruchnahme der Masse durch bestrittene Forderungen rechnen, wenn nach der Lebenserfahrung keine Inanspruchnahme der Masse mehr droht, weil der Bestand der angemeldeten Forderung rechtlich zweifelhaft ist, seit dem Prüfungstermin und dem Widerspruch des Insolvenzverwalters ein erheblicher Zeitraum verstrichen ist und keiner der betreffenden Gläubiger eine Feststellungsklage erhoben hat (vgl. OLG Hamburg, ZIP 2018, 1940, 1941; ZIP 2019, 185, 186; Jarchow/Hölken, ZInsO 2019, 1189, 1194; offengelassen in OLG Hamm, ZInsO 2019, 807), oder wenn es sich bei den bestrittenen Insolvenzforderungen um eine Vielzahl, auf vergleichbarem Sachverhalt beruhenden Forderungen mehrerer Insolvenzgläubiger handelt, der Insolvenzverwalter sämtlichen dieser angemeldeten Forderungen widersprochen hat, ein - nicht notwendig das Insolvenzverfahren betreffender - Musterprozess über die Feststellung einer solchen Insolvenzforderung rechtskräftig verloren gegangen und der rechtliche Bestand der Insolvenzforderungen erheblichen Zweifeln ausgesetzt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 06.02.2020 - IX ZR 5/19, ZIP 2020, 563 Rn. 6 f. zur Entkräftung des Anscheinsbeweises für eine Gläubigerbenachteiligung im Anfechtungsprozess).

Die Entscheidung des BGH weitet damit im Insolvenzfall den Gläubigerschutz aus und verschärft die Haftung derjenigen Kommanditisten, die von ungedeckten Ausschüttungen profitieren.

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