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Kommentar

Insol­venz­rech­liche Überschuldung bei Auslegung eines comfort letters als weiche Patro­nat­s­er­klärung

Leitsatz

Eine weiche Patronatserklärung kommt als Mittel zur Vermeidung der rechnerischen Überschuldung nicht in Betracht. Wenn sich in der Ertrags- und Finanzplanung bereits Liquiditätslücken abzeichnen, lässt sich eine positive Fortführungsprognose bei einer bereits in der Krise befindlichen Gesellschaft damit nur ausnahmsweise begründen.

Sachverhalt

Der Beklagte war ab Februar 2017 Executive Director der A PLC, einer Gesellschaft nach englischem Recht, die Komplementärin der A PLC & Co. KG (im Folgenden: Schuldnerin) war. Über das Vermögen der Schuldnerin wurde am 01.11.2017 auf Antrag des Beklagten vom 15.08.2017 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Klägerin, eine GmbH, die über eine Registrierung gem. § 10 RDG für den Bereich Inkassodienstleistungen verfügt, macht aus abgetretenem Recht Schadensersatzansprüche mit der Behauptung geltend, der Beklagte habe den Insolvenzantrag für die Schuldnerin nicht rechtzeitig gestellt.

Das Berufungsgericht war davon ausgegangen, dass der Beklagte für den Zeitraum ab dem 01.02.2017 von einer positiven Fortführungsprognose ausgehen durfte. Wesentliche Grundlage sei dafür ein Schreiben der Gesellschafterin der A. PLC (im Folgenden: G) vom 28.04.2017 gewesen. Darin habe diese die Absicht bestätigt, auf der Grundlage der mitgeteilten Vorausberechnungen bis Ende 2018 der Schuldnerin die notwendige Unterstützung für die vorhersehbare Zukunft, jedenfalls aber für 18 Monate zu geben, damit die fälligen, finanziellen Verpflichtungen erfüllt werden könnten. Dabei sei auch der Abschlussprüfer bei seinem uneingeschränkten Bestätigungsvermerk von einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit ausgegangen.

Entscheidungsgründe

Der BGH bestätigt zunächst die Grundlage des Anspruch der Gläubiger gegen den Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 S. 1 u. 2 InsO. Der Anspruch besteht, da der Beklagte als Geschäftsführer der Komplementärin der Schuldnerin trotz Insolvenzreife der Gesellschaft unterlassen hatte, einen Eröffungsantrag zu stellen, die Zedenten bei dieser Flüge gebucht und bezahlt hatten und diese Flüge infolge der Insolvenz nicht mehr durchgeführt wurden.

Der Schaden wird dadurch begründet, dass ein Neugläubiger infolge des Vertragsschlusses mit der insolvenzreifen Gesellschaft im Vertrauen auf die Solvenz noch Geld- oder Sachmittel als Vorleistungen zur Verfügung stellt und dadurch Kredit gewährt, ohne einen werthaltigen Gegenanspruch oder eine Gegenleistung zu erlangen, oder der Neugläubiger infolge dessen Aufwendungen erbracht hat (so auch BGH, Urteil vom 21.10.2014, II ZR 113/13, ZIP 2015,267 Rn. 13, 14 mwN; Urteil vom 19.11.2019, II ZR 53/18, ZinsO 2020, 373 Rn. 15).

Die Haftung aus der Insolvenzverschleppung muss der Geschäftsführer auch schuldhaft begründet haben. Ein Verschulden hatte die Vorinstanz noch verneint. Der BGH korrigiert in diesem Urteil entsprechend, wodurch Geschäftsführer weiterhin sehr sorgfältig bei der Annahme einer positiven Fortführungsprognose im Rahmen der insolvenzrechtlichen Überschuldungsprüfung sein müssen. Denn die Antragspflicht besteht dann, wenn zum einen das Unternehmen rechnerisch (bilanziell) überschuldet ist und zum anderen keine positive Fortführungsprognose mehr besteht (§§ 15a Abs. 1 S. 1, 19 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 InsO).

Entscheidend war in diesem Fall, ob der Geschäftsführer noch von einer Fortführung ausgehen konnte. Dies ist nach der Rechtsprechung der Fall, wenn subjektiv ein Fortführungswille des Schuldners bzw. der Geschäftsleiter und objektiv die sich aus einem aussagekräftigen Unternehmenskonzept herzuleitende Lebensfähigkeit des Unternehmens besteht. Diesem Konzept muss ein Ertrags- und Finanzplan zugrunde liegen, für den mittlerweile seit dem 01.01.2020 ein fester Zeitraum von 12 Monaten gilt, und aus dem die Finanzkraft des Unternehmens zur mittelfristigen Fortführung ersichtlich ist.

Bei der Umsetzung dieser Planung bewilligt die Rechtsprechung der Geschäftsleitung einen Beurteilungsspielraum. Ob dieser Spielraum überschritten wurde, darf das Gericht im Prozess dann nicht einfach aus einer ex-post-Sichtweise bewerten, sondern es muss auf die Erkenntnismöglichkeiten eines ordentlichen Geschäftsleiters in der konkreten Krisensituation (ex ante) abstellen (BGH, Urteil vom 06.06.1994, II ZR 292/91; Urteil vom 12.02.2007, II ZR 309/05, juris Rn. 16).

Im vorliegenden Fall lag schon keine adäquate Ertrags- und Liquiditätsplanung vor. Abgesehen davon, durfte die Geschäftleitung aber auch nicht auf die Finanzierungszusage aus dem comfort letter der Gesellschafterin vertrauen. Entscheidend für die Berücksichtigung einer solchen Zusage im Rahmen der Überschuldungsprüfung ist, ob jene eine sog. harte oder weiche Patronatserklärung darstellt. Der BGH erkennt regelmäßig eine harte Patronatserklärung an, wenn sich der Patron gegenüber einer Tochtergesellschaft rechtsverbindlich verpflichtet, die Tochter in der Weise auszustatten, dass sie stets in der Lage ist, ihren finanziellen Verbindlichkeiten nachzukommen (BGH, Urteil vom 20. 09.2019, II ZR 296/08; Urteil vom 19.05.2011, IX ZR 9/10, ZIP 2011, 1111 Rn. 17,21). In einem solchen Fall, kann eine entsprechende Forderung gegen den Patron bei der Berechung der Überschuldung aktiviert werden. Der BGH geht vorliegend von einer weichen Erklärung aus, sodass keine Forderung in der Überschuldungsbilanz aktiviert werden konnte. Damit war die Gesellschaft schon rechnerisch überschuldet.

Aber auch für eine positive Fortführungsprognose reichte dem BGH der comfort letter nicht aus. Zwar kann eine weiche Patronatserklärung ein Umstand sein, dem im Rahmen dieser Prognose eine Bedeutung zukommen kann und der laut BGH auch nicht außer Betracht bleiben kann, wenn es darum geht, ob sich die Geschäftsleitung noch innerhalb des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums gehalten hat. Denn es kommt darauf an, ob mit den Sanierungsbeiträgen Dritter und dem Gelingen der Sanierung insgesamt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gerechnet werden kann, gerade wenn die Finanzierung der Sanierung von diesen Drittmitteln abhängig ist. 

Insgesamt reichte der comfort letter im zu entscheidenen Fall nicht aus. Denn der Anspruch gegen den Patron fällt bei der weichen Erklärung nicht in die Insolvenzmasse. Würde man eine weiche Erklärung bereits genügen lassen, könnte eine Muttergesellschaft auch schlichtweg durch Abgabe einer solchen, nicht haftungsauslösende Erklärung zu Lasten der übrigen Gläubiger die Insolvenz weiter verzögern. Trotz strategischen Interesses der Muttergesellschaft konnte der Geschäftsleiter nicht davon ausgehen, dass in Zukunft jedwede Liquiditätslücke geschlossen wird. Letztlich sah der comfort letter sogar eine Kündigungsmöglichkeit vor, die von der Einschätzung der wirtschaftlichen Situation der Schuldnerin abhing.

Last but not least entlastet der BGH den Geschäftsführer auch nicht durch ein positives Testat des Wirtschaftsprüfers. So lassen sich aus einer positiven Prognose nach § 252 I Nr. 2 HGB im Hinblick auf die bilanzrechtliche Fortführungsvermutung und den geringen Prognosezeitraum keine zwingenden Schlüsse auf eine positive Fortführungsprognose ziehen. Der Geschäftsführer muss damit in der Krise auch die Angaben des beauftragten Wirtschaftsprüfers mit strengem Maßstab hinterfragen.

Insgesamt bleibt es für Geschäftsführer durch diese Rechtsprechung dabei, dass im Krisenumfeld höchste Sorgfaltsmaßstäbe anzusetzen sind. Sich einen unverbindlichen comfort letter der Konzernmutter zu besorgen, um damit ein etwaiges Überschuldungsproblem zu lösen, schützt die Geschäftsführung weiterhin nicht vor Haftungsansprüchen.

Der Vollständigkeit halber wird noch darauf hingewiesen, dass der BGH in seinen Entscheidungsgründen ausführlich zu der prozessualen Vorfrage Stellung nimmt, ob die Klägerin als Inkassounternehmen aktivlegitimiert sei (Rz. 11-64). Der Senat erläutert sehr ausführlich seine Auffassung, dass der Inkassobegriff nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 2 S. 1 RDG auch Geschäftsmodelle wie dieses der Klägerin umfasse, die ausschließlich oder vorrangig auf eine gerichtliche Einziehung einer Forderung abzielen. Rechtspolitisch interessant ist insbesondere der Verweis auf das Gesetz zur Einführung der zivilprozessualen Musterfeststellungsklage nach §§ 606 ff. ZPO im Jahr 2018. Der BGH stellt dabei auf die reine Anwendbarkeit für Verbraucher und das Bewusstsein des Gesetzgebers dafür ab, dass gewerbliche Inkasso-Modelle dadurch nicht eingeschränkt werden sollten. Für Inkasso-Unternehmen damit eine überlebenswichtige Entscheidung.

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