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Kommentar

Insol­venz­recht­liche Behandlung der Nutzungs­über­lassung durch Gesell­schafter, § 135 InsO

I. Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Die Kommanditisten der Schuldnerin waren zugleich Gesellschafter einer GbR, welche Büroräume, Lagerflächen und Maschinen zu gewerblichen Zwecken an die Schuldnerin vermietet hatte. Nach den Regelungen im Mietvertrag war die Miete im Voraus, spätestens am 15. Werktag eines Kalendermonats zu zahlen. Im Zeitraum von Dezember 2009 bis April 2010 wurde die Miete jeweils verspätet gezahlt, allerdings stets innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen nach Fälligkeit. Unter dem 03.05.2010 hat die Schuldnerin einen Eigenantrag auf Insolvenzeröffnung gestellt. Der operative Geschäftsbetrieb der Schuldnerin wurde noch vor Insolvenzeröffnung, die am 22.09.2010 erfolgt ist, eingestellt. Am 27.09.2010 kündigte der Insolvenzverwalter das mit der Vermietungs-GbR bestehende Mietverhältnis gemäß § 109 InsO zum nächst zulässigen Zeitpunkt. Im weiteren Verlauf zeigte der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit gemäß § 208 InsO an.

Die Vermietungs-GbR meldete offene Mieten für den Zeitraum vom 01.05.2010 bis zum 21.09.2010 zur Insolvenztabelle an. Darüber hinaus nahm sie den Insolvenzverwalter auf Zahlung der Mieten für die Zeit von der Insolvenzeröffnung am 22.09.2010 bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 31.12.2010 in Anspruch sowie auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung für die Zeit vom 01.01.2011 bis zum 08.08.2011 (Datum der Rückgabe der Räumlichkeiten). Der Insolvenzverwalter erklärte hilfsweise die Aufrechnung mit Anfechtungsansprüchen gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO.

Mit seinem Urteil hat der BGH festgestellt, dass der Vermietungs-GbR Mietansprüche als Alt-Masseverbindlichkeiten gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO für den Kündigungszeitraum zustehen; im Übrigen hat der BGH die Klage abgewiesen.

In dem Zeitraum von der Insolvenzeröffnung bis zur rechtlichen Beendigung des Mietverhältnisses stellen die Mietansprüche aus dem nach § 108 Abs. 1 S. 1 InsO fortbestehenden Mietverhältnis Masseverbindlichkeiten gem. § 55 InsO dar, deren Höhe sich nach der vereinbarten Miete richtet. Dies gilt auch dann, wenn es sich bei dem Vermieter um einen Gesellschafter der Schuldnerin oder eine gleichgestellte Person handelt. Die Durchschnittsberechnung des § 135 Abs. 3 S. 2 InsO, die an ein Aussonderungsrecht anknüpft, gilt erst für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist bis maximal ein Jahr nach Insolvenzeröffnung; während des noch laufenden Mietverhältnisses steht dem Mieter hingegen ein Recht zum Besitz zu. Entgegen dem Gesetzeswortlaut ist hinsichtlich der Berechnungsgrundlage auf die letzten 12 Monate vor Antragstellung abzustellen, nicht vor Eröffnung. Anfechtbare Beträge bleiben bei der Ermittlung des Durchschnittsbetrages außen vor.

Die vom Insolvenzverwalter hilfsweise erklärte Aufrechnung greift nicht durch. Mietzahlungen an Gesellschafter im letzten Jahr vor Antragstellung sind nicht per se, sondern nur insoweit gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar, als dass die Mietansprüche als darlehensgleiche Forderungen anzusehen sind. Dies setzt voraus, dass die Mieten vor der verspäteten Zahlung rechtlich oder tatsächlich gestundet bzw. stehengelassen worden sind, und zwar in Anlehnung an das Bargeschäft i.S.d. § 142 InsO sowie § 286 Abs. 3 BGB für einen Zeitraum von mehr als 30 Tagen.

Der von der Vermietungs-GbR zusätzlich geltend gemachte Anspruch auf Nutzungsentschädigung stellt keine (Alt-)Masseverbindlichkeit dar, weil der Insolvenzverwalter das Mietobjekt nicht für die Masse beansprucht und die Vermietungs-GbR auch nicht gezielt von der Nutzung ausgeschlossen hatte.

II. Stellungnahme

Mit dem vorgenannten Grundsatzurteil hat der für das Insolvenzrecht zuständige IX. Zivilsenat des BGH ein ganzes Bündel von offenen und in der Literatur zum Teil kontrovers diskutierten Rechtsfragen höchstrichterlich geklärt, die im Zuge der Abschaffung der sog. „kapitalersetzenden Nutzungsüberlassung“  bzw. der gesetzlichen Neuregelung des § 135 InsO aufgeworfen worden sind. Insbesondere betrifft dies die nachfolgenden Punkte:

  1. Voraussetzungen der insolvenzrechtlichen Anfechtbarkeit von Mietzahlungen, die in dem letzten Jahr vor Insolvenzantragstellung geleistet worden sind, gemäß § 135 Abs.1 Nr. 2 InsO
  2. Gleichstellung von mittelbaren Gesellschaftern im Bereich der Nutzungsüberlassung gemäß § 135 InsO
  3. Zeitlicher und sachlicher Anwendungsbereich der Durchschnittsberechnung des § 135 Abs. 3 S. 2 InsO (Anknüpfung an die letzten 12 Monate vor Antragstellung; Vollbeendigung des Nutzungsverhältnisses und Fortführung des Geschäftsbetriebs als sachliche Voraussetzungen)
  4. Einordnung der Mietansprüche des Gesellschafters im Kündigungszeitraum nach Eröffnung als Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 InsO

Auch wenn man sich des Eindrucks nicht vollständig erwehren kann, dass der Gesetzgeber in Teilaspekten eine andere Rechtsfolge angestrebt hat – insbesondere in Bezug auf den Anwendungsbereich der Durchschnittsberechnung des § 135 Abs. 3 S. 2 InsO – ist das Urteil des BGH wegen der nunmehr eingetretenen Rechtssicherheit für die Praxis begrüßenswert. Von der Rechtsprechung profitieren werden nicht etwa die Insolvenzgläubiger, sondern die Gesellschafter. Nicht selten wird der Insolvenzverwalter gegen die Masseforderungen der Gesellschafter mit seinen Anfechtungsansprüchen aus § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO aufrechnen können, die aus (deutlich) verspäteten Zahlungen resultieren.

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