Menü

Kommentar

Masse­zu­ge­hö­rigkeit der Honorar­for­de­rungen eines Zahnarztes bei Freigabe der selbstän­digen Tätigkeit

1. Der BGH hat sich in seinem Urteil vom 21.02.2019 (Az. IX ZR 246/17) mit der Frage auseinandergesetzt, wie sich die Freigabe der selbständigen Tätigkeit gemäß § 35 Abs. 2 InsO auf die Massezugehörigkeit der Honorarforderungen eines Zahnarztes auswirkt. In dem entschiedenen Fall hatte der beklagte Insolvenzverwalter zwei Monate nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des klagenden Zahnarztes den Betrieb der Zahnarztpraxis gemäß § 35 Abs. 2 InsO aus dem Insolvenzbeschlag freigegeben. Bereits vor der Verfahrenseröffnung hatte der Zahnarzt ein Girokonto eröffnet, das er seit der Freigabe als Geschäftskonto nutzte und auf dem nach dem Wirksamwerden der Freigabeerklärung Zahlungen von Privatpatienten und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung eingegangen waren. Nachdem der Zahnarzt Abverfügungen von dem Girokonto getätigt hatte, ließ sich der Insolvenzverwalter das verbliebene Kontoguthaben ca. einen Monat nach der Freigabe der selbständigen Tätigkeit auszahlen und das Girokonto auflösen. Der klagende Zahnarzt hat den Insolvenzverwalter gemäß § 816 Abs. 2 BGB auf Erstattung des vereinnahmten Kontoguthabens in Anspruch genommen, weil er der Auffassung war, dass das Kontoguthaben seinem insolvenzfreien Vermögen zuzuordnen war.

2. Der BGH hat in seiner Entscheidung zunächst ausgeführt, dass es sich bei Ansprüchen aus einem Girovertrag, den der Insolvenzschuldner nach Insolvenzeröffnung abgeschlossen hat, grundsätzlich um Neuerwerb gemäß § 35 Abs. 1 2. Fall InsO handele, der in die Masse fällt. Vorliegend habe die Eröffnung des Insolvenzverfahrens dazu geführt, dass der vor der Verfahrenseröffnung abgeschlossene Girovertrag des Insolvenzschuldners gemäß §§ 115, 116 InsO erloschen ist. Aufgrund der beiderseitigen Fortführung der Geschäftsbeziehung nach der Freigabe des Praxisbetriebes habe der Insolvenzschuldner mit der Bank konkludent einen neuen Girovertrag abgeschlossen. Dies führt nach der Auffassung des BGH aber nur dann dazu, dass das Girokonto dem insolvenzfreien Vermögen des Insolvenzschuldners zuzuordnen ist, wenn der Girovertrag von der Freigabeerklärung erfasst war, der Girovertrag erst nach der Freigabeerklärung begründet worden ist oder es sich wie das Pfändungsschutzkonto um ein Vertragsverhältnis handelt, das ausschließlich das insolvenzfreie Vermögen betrifft. Letzteres wäre etwa der Fall, wenn es sich um ein Pfändungsschutzkonto handelte oder der Insolvenzschuldner gegenüber der Bank zum Ausdruck gebracht hätte, dass er das Konto im Rahmen seiner freigegebenen selbständigen Tätigkeit nutzen wollte.

Des Weiteren hat der BGH klargestellt, dass sich die Freigabe nicht auf Vermögen beziehe, das dem Insolvenzschuldner im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Freigabeerklärung schon gehörte. Dieses Vermögen, das auch Forderungen umfasst, die aus der vor der Freigabe ausgeübten selbständigen Tätigkeit des Insolvenzschuldners resultieren, stehe der Insolvenzmasse zu. Insoweit stelle der Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Freigabeerklärung eine zeitliche Zäsur dar und ermögliche eine eindeutige Differenzierung der Vermögensmassen. Hintergrund dessen sei, dass der Masse die Vermögenswerte zufließen sollen, für die sie auch die notwendigen Kosten aufgewendet und die Haftungsrisiken getragen hat.

Eine im Rahmen der selbständigen Tätigkeit erwirtschaftete Forderung ist somit nach den Ausführungen des BGH Massebestandteil, wenn der Rechtsgrund vor der Freigabe so weit und endgültig verwirklicht worden ist, dass das betreffende Recht sofort als umsetzungsfähiger Bestandteil zum Vermögen des Insolvenzschuldners zu rechnen ist. Dabei sei entscheidend, ob vom Entstehungstatbestand bereits so viele Erfordernisse erfüllt sind, dass die Vollendung nicht mehr von einem willensgesteuerten Verhalten des Insolvenzschuldners abhängt.

Für die Honorarforderungen eines Zahnarztes ist deshalb zwischen Forderungen gegen Privatpatienten und Kassenpatienten zu unterscheiden. Honorarforderungen gegen Privatpatienten entstehen, sobald der Zahnarzt die vergütungsfähige Leistung erbracht hat. Auf die Fälligkeit der Forderung, die gemäß § 10 GOZ durch Rechnungsstellung eintritt, kommt es laut dem BGH nicht an. Die Honorarforderungen des Zahnarztes aus seiner Tätigkeit für gesetzlich krankenversicherte Patienten entstehen hingegen erst mit dem Abschluss des Quartals, in dem die vertragszahnärztlichen Leistungen erbracht worden sind, und der Vorlage der entsprechenden Abrechnung bei der kassenzahnärztlichen Vereinigung. Zu diesem Zeitpunkt habe der Vertragszahnarzt eine dem Anwartschaftsrecht aus einem bedingten Rechtsgeschäft vergleichbare Rechtsposition erlangt. Leistet die kassenzahnärztliche Vereinigung Abschlagszahlungen an den Zahnarzt, sei für die zeitliche Zuordnung dieser Zahlungen der Zeitpunkt der Zahlung maßgeblich, weil die Abschlagszahlungen aufgrund von Regelungen zur Honorarverteilung oder einer Abrechnungsrichtlinie geleistet werden.

3. Der BGH hat sich mit dieser zu begrüßenden Entscheidung in Bezug auf die Frage, wann Honorarforderungen des Zahnarztes gegen die kassenzahnärztliche Vereinigung entstehen, ausdrücklich der Meinung des Bundessozialgerichtes angeschlossen. Insoweit wird der BGH an seiner bisherigen Rechtsprechung, wonach das vertragsärztliche Vergütungssystem nach den §§ 82 ff. SGB V nur die Fälligkeit des Anspruches, nicht jedoch seine Entstehung betrifft, nicht festhalten.

Diese Seite verwendet Cookies.

Bitte erlauben Sie den Einsatz von Cookies, damit Sie diese Seite in vollem Funktionsumfang nutzen können.

Speichern Abbrechen Ok, einverstanden Tracking ablehnen