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Kommentar

Muster­fest­stel­lungs­klage zum Neukun­den­bonus in der Insolvenz eines Energie­ver­sorgers

Die nachstehend skizzierte Entscheidung des BGH betrifft die sich häufenden Insolvenzen von Billigstromanbietern und äußert sich zur Zulässigkeit einer Musterfeststellungsklage im Insolvenzverfahren.

Kurzsachverhalt:

In den vergangenen Jahren gab es eine Reihe von Insolvenzen von Energieversorgern, TelDaFax Holding, OptimalGrün, Flexgas, Löwenzahn Energie und der BEV Bayerische Energieversorgungsgesellschaft, um nur einige zu nennen. Die Transformationen der Energiewende werden voraussichtlich auch in diesem Markt zu weiteren Insolvenzen führen. Charakteristisch für solche Verfahren ist die Vielzahl an Gläubigern, die als Endverbraucher ganz wesentlich beteiligt sind.

Das Geschäftsmodell der sog. „Billigstromanbieter“ basiert darauf, über niedrige Preise Kunden zu gewinnen und bei diesen hohe Vorauszahlungen zu erheben, die die Liquidität des Unternehmens sicherstellen. Der Energiediscounter verschafft sich die Energie am Markt und gerät häufig durch steigende Beschaffungskosten in eine wirtschaftliche Schieflage. Sodann wird versucht, weitere Kunden zu gewinnen, um weitere Vorauszahlungen zu vereinnahmen – ein Schneeballsystem par excellence.

Konstellation hier also wie folgt: Der Kläger ist ein als qualifizierte Einrichtung in die Liste nach § 4 UKlaG eingetragener Verein zum Schutz von Verbraucherinteressen. Der Beklagte ist Insolvenzverwalter eines Energieversorgers. Der Kläger begehrt gegenüber dem Beklagten die Feststellung, dass einer Berücksichtigung des Neukundenbonus in den Abrechnungen eine Energielieferungsvertrages zwischen einem Verbraucher und der Schuldnerin nicht die Tatsache entgegensteht, dass die Belieferung durch die Schuldnerin und/oder den vorläufigen Insolvenzverwalter vor Ablauf der Mindestvertragslaufzeit endete. Weiter beantragt der Kläger Feststellung, dass die Berücksichtigung eines prozentual vom Umsatz gewährten Neukundenbonus in der Weise zu erfolgen habe, dass die Entgeltforderung in der Endabrechnung um den Bonus zu kürzen sei. 

Entscheidungsgründe:

Der BGH sollte zunächst klären, ob eine Musterfeststellungsklage gegen einen Insolvenzverwalter zulässig sei. Dazu bestätigt der BGH die Vorinstanz (OLG München NZI 2020, 912): Es könne vielmehr offenbleiben, ob der Insolvenzverwalter Unternehmer iSd § 606 Abs. 1 1 ZPO sei und ob lediglich ein Unternehmer Beklagter im Musterfeststellungsverfahren sein könne. Unabhängig von der Verfahrensart gehe mit Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach § 80 Abs. 1 InsO die Prozessführungsbefugnis für alle die Masse betreffenden Rechtstreitigkeiten vom Schuldner auf den Insolvenzverwalter über.

Der BGH führt aus, dass Streitgegenstand der Feststellungsziele der Musterfeststellungsklage allein Aktivprozesse der Insolvenzmasse sind, da der Insolvenzverwalter Ansprüche gegen die Kunden der Schuldnerin geltend macht. Dabei sei zu prüfen, ob bestimmte Bonusansprüche in Abzug gebracht werden können. Der BGH sieht in den Bestimmungen zur Forderungsfeststellung im Insolvenzverfahren (§§ 87, 174 ff. InsO) keine Hinderungsgründe für ein Musterfeststellungsverfahren. Zwar könnten die Vorschriften über die Feststellung von Insolvenzforderungen die vorgesehene Bindungswirkung eines Musterfeststellungsurteils hindern, stehen aber der vorliegenden Musterfeststellungsklage nicht entgegen. Schließlich seien keine Insolvenzforderungen von Kunden der Schuldnerin betroffen, sondern unselbstständige Rechnungsposten, die durch Verrechnung mit den Neukundenboni lediglich zu einer Verringerung der vom Insolvenzverwalter eingeforderten Forderungen gegen die Kunden führten. Folglich betreffen die Feststellungsziele hier ausschließlich Masseforderungen und damit (künftige) Aktivprozesse der Masse (vgl. § 85 InsO). Im Rahmen eines Musterfeststellungsverfahrens können demnach auch insolvenzrechtliche Fragen hinsichtlich der Anwendbarkeit der Aufrechnungsvorschriften nach §§ 94 ff. InsO geklärt werden. 

Im Übrigen hält der BGH die Musterfeststellungsklage für begründet, was hier nicht weiter behandelt werden soll, sondern im Wesentlichen von dem Ergebnis der AGB-Kontrolle nach BGB zu entscheiden war. Dies ist für die Kunden ein gutes Ergebnis, da die Neukundenboni somit von den offenen Masseforderungen, die der Insolvenzverwalter einzuziehen hat, in Abzug zu bringen sind. 

Ausblick:

Spannend bleibt in Zukunft abzuwarten, ob der Insolvenzverwalter auch in anderen Konstellationen als Partei gesehen wird (vgl. dazu ausführlich Schmittmann, NZI 2023, 757, 761). So bereitet der Gesetzgeber derzeit weitere Klagearten vor, wie das Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz (VRUG) und das Gesetz zur Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens. Hinsichtlich des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2020/1838 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG (VRUG) hat der Bundestag den Gesetzentwurf der Bundesregierung mit gewissen Änderungen auch bereits angenommen. Die Verbandsklagen gem. § 1 Abs. 1 VDuG (Gesetz zur gebündelten Durchsetzung von Verbraucherrechten – Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz) umfassen Abhilfeklagen (§ 1 I Nr. 1 VDuG) und Musterfeststellungsklagen (§ 1 I Nr. 2 VDuG). In Zukunft werden sich Streitigkeiten wie die Vorliegende daher wohl nach dem Verbandsklagenrecht richten (vgl. auch Schmittmann ZRI 2023, 277). Diesbezüglich soll die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmers die Durchführung des Umsetzungsverfahrens nicht hindern (§ 38 Abs. 1 VDuG). Weiterhin ist ein Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim BGH (BT-Drs. 375/23) im Umlauf. Der Gesetzgeber möchte in Zukunft bei der gerichtlichen Geltendmachung gleichgelagerter (Verbraucher-) Ansprüche, z.B. im Zusammenhang mit Dieselfällen oder unzulässigen Vertragsklauseln, die erstinstanzlichen Gerichte entlasten. Dazu soll ein Leitentscheidungsverfahren eingeführt werden, das dem BGH die Möglichkeit gibt, ein Revisionsverfahren in einem Massenverfahren zum Leitentscheidungsverfahren zu bestimmen. Der Gesetzentwurf zur Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim BGH sieht dagegen keine insolvenzrechtlichen Besonderheiten vor. Unter Berücksichtigung der hier dargestellten Entscheidung des BGH (BGH, Urt. v. 27.07.2023 – IX ZR 267/20) wird man in Karlsruhe in Zukunft Position beziehen müssen, ob das Leitentscheidungsverfahren auch im Insolvenzverfahren Anwendung findet. Denn mit der vorliegenden Entscheidung wurde schließlich keine Farbe bekannt, sondern offengelassen, ob eine Musterfeststellungsklage auch dann zulässig ist, wenn sich die Feststellungsziele auf Insolvenzforderungen und deren Feststellung nach dem insolvenzrechtlichen Regelungsregime der §§ 179 ff. InsO beziehen.

Robert F. Westhues

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