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Kommentar

Überschul­dungs­prüfung bei Start-Up-Unter­nehmen

Die nachstehend skizzierte Entscheidung thematisiert die Tatbestandsvoraussetzungen der insolvenzrechtlichen Überschuldung eines Start-Up-Unternehmens als Notwendigkeit für den Haftungsanspruch des Insolvenzverwalters gegen den Geschäftsführer gem. § 64 GmbHG a.F.

Kurzsachverhalt:

Die X-UG (Insolvenzschuldnerin) war als Start-Up mit dem Vertrieb und der Entwicklung eines Getränks „X.“ beschäftigt.  Gesellschafter waren u.a. die Investor-GmbH (im Folgenden „I.“ oder „I-GmbH“) sowie der Beklagte, der gleichzeitig Geschäftsführer der X-UG war. Während der Laufzeit gewährte die I. der X-UG mehrere Darlehen, deren Auszahlung streitig war. Der klagende Insolvenzverwalter der X-UG nahm den Bekl. wegen Insolvenzverschleppung gemäß § 64 GmbHG a.F. in Anspruch. Er trug vor, dass der Bekl. im Zeitraum 1.1.2015 bis 3.4.2017 masseschmälernde Zahlungen i.H.v. rd. 58 T€ veranlasste, obwohl die X-UG bereits insolvenzrechtlich überschuldet gewesen sei. Der Bekl. war der Ansicht, dass die X-UG nicht überschuldet gewesen sei, da die I.-GmbH vorbehaltslos und verbindlich zugesagt habe, den Kapitalbedarf der X-UG zu decken, wenn ein solcher bestehen sollte. Zudem seien die von der I. gewährten und ausgezahlten Darlehen nicht zu passivieren gewesen, da ein qualifizierter Rangrücktritt vereinbart worden wäre. Das Landgericht gab der Klage des Insolvenzverwalters statt. Die X-UG sei jedenfalls ab dem 31.12.2014 i.S.d. § 19 Abs. 2 InsO a.F. überschuldet gewesen, insbesondere habe keine positive Fortführungsprognose bestanden. Das OLG Düsseldorf bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung, indem es den PKH-Antrag des Beklagten, der Berufung einlegen wollte, zurückwies.

Entscheidungsgründe:

Die mit der Berufung beabsichtigte Rechtsverfolgung des Beklagten hatte keine Aussicht auf Erfolg, § 114 I ZPO. Nach Ansicht des OLG Düsseldorf war der Geschäftsführer der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, da diese nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder nach Feststellung der Überschuldung geleistet wurden, § 64 S. 1 GmbHG a.F. (nunmehr: § 15b I, IV 1 InsO). Das OLG hat eine Überschuldung nach § 19 II 1 InsO aF angenommen. Der Voraussetzungen des zweigliedrigen Tatbestands der Überschuldung seien erfüllt:

1. Rechnerische Überschuldung der Gesellschaft,

2. Keine positive Fortführungsprognose.

Die Beweislast der ersten Stufe treffe dabei den Insolvenzverwalter. Die Beweislast der zweiten Stufe treffe den Beklagten, der darlegen muss, dass eine Fortführung trotz Überschuldung ex ante gerechtfertigt war (so auch BGH, Hinweisbeschl. v. 24.9.2019, II ZR 248/17). Dem Beklagten ist es nicht gelungen, eine positive Fortführungsprognose darzulegen und zu beweisen. Eine positive Fortführungsprognose liegt nach ständiger BGH-Rechtsprechung vor, wenn der Schuldner einen subjektiven Fortführungswillen hat und objektiv aus einem aussagefähigen Unternehmenskonzept sich auch die Lebensfähigkeit des Unternehmens ableiten lässt (sog. Fortführungsmöglichkeit). Zumindest ist dafür ein Ertrags- und Finanzplan für einen angemessenen Prognosezeitraum zu verlangen, aus dem sich eine mittelfristige Finanzkraft ergibt (vgl. dazu auch Homepage-Kommentar des Verfassers vom 10.12.2021 zu BGH, Urt. v. 13.7.2021, II ZR 84/20).

Das OLG stellt diesbezüglich zunächst klar, dass unter Umständen auch eine weiche Patronatserklärung ausreichen kann, um eine positive Fortführungsprognose zu begründen, also auch dann, wenn die kriselnde Gesellschaft keinen rechtsverbindlichen Anspruch auf die finanziellen Mittel des Investors hat. Unter Berücksichtigung der Besonderheiten eines Start-Up Unternehmens lag aber trotzdem für die X-UG keine positive Fortführungsprognose mehr vor. Ferner sei erforderlich, dass auch ein Start-Up mit überwiegender, also mehr als 50%-iger Wahrscheinlichkeit in der Lage sein muss, seine im Prognosezeitraum - für Verfahren ab dem 01.01.2021 nunmehr über einen 12 Monatszeitraum - fälligen Zahlungsverpflichtungen aufgrund der Bereitstellung oder einer Zusage externer Finanzierungsmittel zu decken. Voraussetzung dafür ist eine realistische, operative Planung, aus dem sich eine erfolgsversprechende Ausrichtung des Geschäfts ergibt. Das Start-Up muss sich also mittelfristig durch eigene Erträge tragen können, da perspektivisch eine andauernde Fremdfinanzierung an entsprechende Grenzen stößt. Angelehnt an den BGH kann sich auf eine erfolgsversprechende Marktentwicklung eine positive Fortführungsprognose stützen lassen (BGH, Urt. v. 23.1.2018, II ZR 246/15, NJW-RR 2016, 482).

Im vorliegenden Fall hatte der Investor jedoch seine weiteren Mittel nicht von der Planung der Insolvenzschuldnerin, sondern – unabhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung – allein von der Übertragung weiterer Anteile abhängig gemacht. In den Gesellschafterversammlungen war immer wieder diskutiert worden, wer bereit sei, der Insolvenzschuldnerin Darlehen zu gewähren oder nebst Kapitalerhöhung weitere Einlagen zu leisten. Die I.-GmbH habe sich als Investor jeweils dazu bereit erklärt, jedoch eben losgelöst von einer mittelfristigen Ertrags- und Finanzplanung. Damit nahm das OLG Düsseldorf an, dass eine positive Fortführungsprognose ab dem 1.1.2015 nicht mehr vorlag.

Insgesamt bestätigt das OLG Düsseldorf zwar grundsätzlich seine Start-up-freundliche Rechtsprechung dahingehend, dass im relevanten Prognosezeitraum kein eigener Ertrag erzielt werden muss (so auch Swierczok/Labusga, NZI 2022, 558). Die Finanzierungszusagen des Investors müssen aber zumindest an eine Finanz- und Ertragsplanung und damit eine positive Marktentwicklung – und etablierung (sog. erfolgsversprechende Geschäftsausrichtung) über einen mittelfristigen Zeitraum gekoppelt sein, damit das Start-up nicht bereits frühzeitig in eine insolvenzrechtliche Überschuldung und damit eine für den Geschäftsführer haftungsträchtige Insolvenzreife rutscht. Das Kriterium einer mittelfristig, erfolgsversprechenden Geschäftsausrichtung überzeugt jedoch nicht zwingend, solange man darunter auch eine gewisse Ertragsfähigkeit verstehen möchte, da im Start-Up-Bereich durchaus langfristige Zeiträume einer fehlenden Ertragsfähigkeit von den Investoren hingenommen werden.

Robert F. Westhues

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