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Kommentar

Voraus­set­zungen der Anfechtung von Schein­ge­winnen gemäß § 134 InsO

1. In seinem Urteil vom 02.12.2021, Az. IX ZR 110/20, hat sich der BGH mit der Frage beschäftigt, unter welchen Voraussetzungen fehlerhafte Gewinnausschüttungen an Gläubiger als unentgeltliche Leistungen im Sinne des § 134 InsO der Anfechtung unterliegen.

Der Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem der klagende Insolvenzverwalter vom Beklagten, der bei der Insolvenzschuldnerin Genussrechte gezeichnet hatte, die Rückzahlung der von der Insolvenzschuldnerin in den letzten vier Jahren vor Insolvenzantragstellung ausgeschütteten Dividende und Übergewinnbeteiligung verlangte. Dabei vertrat der Kläger die Auffassung, dass die in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Insolvenzschuldnerin formulierten Voraussetzungen der Ausschüttung, die die Zahlungen nicht von der bilanzierten, sondern von der tatsächlichen Ertragslage der Insolvenzschuldnerin abhängig machten, nicht vorgelegen hätten. Das Berufungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass es an einer unentgeltlichen Leistung der Insolvenzschuldnerin fehle, weil ihre Organe nicht gewusst hätten, dass die Ertragslage der Insolvenzschuldnerin so schlecht war, dass die Voraussetzungen für den Ausschüttungsanspruch des Beklagten nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht erfüllt war.

2. Der BGH hat die Entscheidung der II. Instanz aufgehoben und mangels Entscheidungsreife an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Im Rahmen seiner Ausführungen hat er zunächst seine bisherige Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 20.04.2017, Az. IX ZR 252/16; Urteil vom 07.09.2017, Az. IX ZR 224/16) bestätigt, wonach eine unentgeltliche Leistung nicht vorliegt, wenn der Gläubiger einen Anspruch auf die Ausschüttung hatte. Eine unentgeltliche Leistung scheide auch aus, wenn die Leistung der Insolvenzschuldnerin ohne Rechtsgrund erfolgt ist und ihr infolgedessen ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gegen den Beklagten zusteht. Etwas anderes gelte lediglich, wenn die Insolvenzschuldnerin in Kenntnis ihrer Nichtschuld gezahlt hat, so dass der Beklagte ihrem Bereicherungsanspruch § 814 BGB entgegenhalten kann. In diesem Fall hätte die Insolvenzschuldnerin keinen ausgleichenden Bereicherungsanspruch gegen den Beklagten, so dass sie einen endgültigen und freigiebigen Vermögensverlust erlitten hätte. Ging die Insolvenzschuldnerin hingegen irrtümlich davon aus, dass die Voraussetzungen für eine Ausschüttung zugunsten des Beklagten vorlagen, sei eine unentgeltliche Leistung zu verneinen.

Vor diesem Hintergrund hat der BGH festgestellt, dass das Berufungsgericht die erhobenen Beweise in Bezug auf die Frage, ob die Organe der Insolvenzschuldnerin im Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen Kenntnis von der etwaigen Nichtschuld im Sinne des § 814 BGB hatten, nicht vollständig gewürdigt habe. Denn es habe außer Acht gelassen, dass die Insolvenzschuldnerin ein betrügerisches Schneeballsystem betrieben hat. Nach der Auffassung des BGH wisse ein Schuldner, der seinen Zeichnern gewinnabhängige Ausschüttungen schuldet und ein betrügerisches Schneeballsystem betreibt, dass er an die Genussrechtsinhaber statt der versprochenen Gewinne und Dividenden lediglich Scheingewinne und Scheindividenden aus den Einzahlungen von getäuschten Geldgebern auszahlt. In Anbetracht dessen hat der Senat dem Berufungsgericht aufgegeben, zu ermitteln, wie im Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen die tatsächliche Ertragslage der Insolvenzschuldnerin, auf die es für die Erfüllung der Ausschüttungsvoraussetzungen nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen ankommt, war. Sollte die Ertragslage objektiv betrachtet keine Ausschüttung zugelassen haben, wäre eine unentgeltliche Leistung der Insolvenzschuldnerin und damit eine Anfechtbarkeit gemäß § 134 InsO anzunehmen.

3. Der BGH knüpft mit dieser Entscheidung an seine vorherige Rechtsprechung hinsichtlich der Voraussetzungen der unentgeltlichen Leistung an und grenzt den Anwendungsbereich des § 134 InsO mit überzeugenden Argumenten von den bereicherungsrechtlichen Ansprüchen ab. Außerdem macht er deutlich, dass es an der Kenntnis der Nichtschuld im Sinne des § 814 BGB nur unter engen Voraussetzungen fehlt. Für den Fall, dass ein Schneeballsystem betrieben wurde, kommt es somit ausschließlich darauf an, ob die Insolvenzschuldnerin echte Gewinne oder lediglich Scheingewinne erwirtschaftet hat.

Ruth Braukmann

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