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Kommentar

BGH: Abgrenzung des Vollbe­weises der Kenntnis vom Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gungs­vorsatz zur Vermu­tungs­regel des § 133 Abs. 1 S. 2 InsO – Neuaus­richtung der Anfor­de­rungen an den Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gungs­vorsatz

Mit nachstehend skizzierter Entscheidung richtet der IX. Zivilsenat des BGH seine Rechtsprechung zum Gläubigerbenachteiligungsvorsatz im Rahmen der Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO neu aus und grenzt die prozessualen Anforderungen an den Vollbeweis der Kenntnis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes von der Vermutungsregelung des § 133 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 InsO ab.

Kurzsachverhalt:

Der klagende Insolvenzverwalter verlangte von der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO aF Rückzahlung von zehn Teilzahlungen, die die Schuldnerin vor dem Hintergrund eines gegen sie verhängten Ordnungsgeldes leistete.

Nachdem die Insolvenzschuldnerin den Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2006 nicht fristgerecht veröffentlichte, setzte das Bundesamt für Justiz im Jahr 2009 ein Ordnungsgeld von 2.500,00 € gegen die Schuldnerin fest. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wurde im Frühjahr 2010 zurückgewiesen. Ende April 2010 erfolgte die Mahnung des ausstehenden Betrages. Nach daraufhin im Mai 2010 erfolgter "eingehender telefonischer Erörterung der wirtschaftlichen Verhältnisse" akzeptierte das Bundesamt für Justiz eine Ratenzahlung des Ordnungsgeldes. Die Schuldnerin zahlte daraufhin von Juni bis März 2011 zehn Raten in einer Gesamthöhe von 2.307,00 €. Eine weitere Zahlung von 53,50 € erfolgte im Februar 2012.

Das Amtsgericht wies die Klage ab. Die Berufung des Insolvenzverwalters blieb ebenfalls erfolglos. Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision hatte vor dem BGH Erfolg und führte zur Zurückweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Kurzdarstellung der Entscheidungsgründe:

Mit der für die amtliche Sammlung vorgesehenen Entscheidung hat der BGH eine Reihe von anfechtungsspezifischen Fragen behandelt und insbesondere die Anforderungen an die Darlegungslast des Insolvenzverwalters in Bezug auf den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners erhöht.

Der BGH hat die nachstehenden sechs Leitsätze postuliert:

  1. Die Annahme der subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung kann nicht allein darauf gestützt werden, dass der Schuldner im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung erkanntermaßen zahlungsunfähig ist.
  2. Der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners setzt im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit zusätzlich voraus, dass der Schuldner im maßgeblichen Zeitpunkt wusste oder jedenfalls billigend in Kauf nahm, seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht vollständig befriedigen zu können; dies richtet sich nach den ihm bekannten objektiven Umständen.
  3. Für den Vollbeweis der Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners muss der Anfechtungsgegner im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit des Schuldners im maßgeblichen Zeitpunkt zusätzlich wissen, dass der Schuldner seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht wird befriedigen können; dies richtet sich nach den ihm bekannten objektiven Umständen.
  4. Auf eine im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung nur drohende Zahlungsunfähigkeit kann der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners in der Regel nicht gestützt werden.
  5. Eine besonders aussagekräftige Grundlage für die Feststellung der Zahlungseinstellung ist die Erklärung des Schuldners, aus Mangel an liquiden Mitteln nicht zahlen zu können; fehlt es an einer solchen Erklärung, müssen die für eine Zahlungseinstellung sprechenden sonstigen Umstände ein der Erklärung entsprechendes Gewicht erreichen.
  6. Stärke und Dauer der Vermutung für die Fortdauer der festgestellten Zahlungseinstellung hängen davon ab, in welchem Ausmaß die Zahlungsunfähigkeit zutage getreten ist; dies gilt insbesondere für den Erkenntnishorizont des Anfechtungsgegners.

Der BGH führt in den Entscheidungsgründen aus, dass die Rechtsprechung, wonach allein aus der vom Anfechtungsgegner erkannten Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gefolgert wird, dieser sei in der Regel auch über den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners im Bilde, einer neuen Ausrichtung bedürfe. Entsprechendes gelte für die Feststellung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes selbst.

Gläubigerbenachteiligungsvorsatz

Soweit die Rechtsprechung bisher angenommen hatte, dass ein Schuldner, der zahlungsunfähig ist und seine Zahlungsunfähigkeit kennt, in aller Regel mit Benachteiligungsvorsatz handelt (vgl. BGH, vom 14. September 2017 - IX ZR 3/16, WM 2017, 2319 Rn. 8; st. Rspr.), kann nunmehr nicht mehr allein darauf abgestellt werden, dass der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit kannte.

Der BGH hält nunmehr für das alte wie das neue Anfechtungsrecht erforderlich, den Bezugspunkt für die Beurteilung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes zu erweitern. Ist der Schuldner im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung erkanntermaßen zahlungsunfähig, kommt es zusätzlich darauf an, ob er wusste oder jedenfalls billigend in Kauf nahm, seine anderen Gläubiger auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht vollständig befriedigen zu können.

Anknüpfungstatsache für das Bewusstsein auch in Zukunft die Gläubiger nicht vollständig befriedigen zu können, ist nach Auffassung des BGH die im Moment der angefochtenen Rechtshandlung bestehende Deckungslücke zwischen dem liquiden Vermögen des Schuldners und seinen Verbindlichkeiten. Hatte die Deckungslücke ein Ausmaß erreicht, das selbst bei optimistischer Einschätzung der zukünftigen Entwicklung in absehbarer Zeit keine vollständige Befriedigung der bereits vorhandenen und der absehbar hinzutretenden Gläubiger (vgl. BGH, Urteil vom 12. Oktober 2017 - IX ZR 50/15, WM 2017, 2322 Rn. 19) erwarten ließ, müsse dem Schuldner klar sein, dass er nicht einzelne Gläubiger befriedigen konnte, ohne andere zu benachteiligen. Befriedigt er in dieser Lage einzelne Gläubiger, handele er deshalb mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz.

Bestehe - abhängig vom Ausmaß der bestehenden Deckungslücke und der aus objektiver Sicht erwartbaren und vom Schuldner erkannten Entwicklung - Aussicht auf nachhaltige Beseitigung der gegenwärtigen Zahlungsunfähigkeit, rücke der hierfür erforderliche Zeitraum in den Mittelpunkt der Betrachtung. Der Schuldner müsse davon ausgehen dürfen, dass ihm dieser Zeitraum verbleibt. Das hänge vom Verhalten der (übrigen) Gläubiger ab. Sieht sich der Schuldner im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung erheblichem Mahn- und/oder Vollstreckungsdruck ausgesetzt, begrenze dies den für eine Beseitigung der vorhandenen Deckungslücke zur Verfügung stehenden Zeitraum. Der Schuldner handele mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz, wenn er einen Zeitraum in seine Überlegungen einbezieht, der ihm unter Berücksichtigung des Verhaltens seiner übrigen Gläubiger ersichtlich nicht zur Verfügung steht.

Kenntnis des Anfechtungsgegners

Der Vollbeweis der Kenntnis des Anfechtungsgegners vom vorstehend dargestellten Gläubigerbenachteiligungsvorsatz umfasst die Darlegung, dass der Anfechtungsgegner also nicht nur von der aktuell bestehenden Zahlungsunfähigkeit Kenntnis erlangt hat, sondern zusätzlich auch weiß, dass der Schuldner nicht in der Lage ist, die bestehende erhebliche Deckungslücke selbst bei optimistischer Einschätzung des weiteren Verlaufs zu schließen.

Beweislast

Darlegungs- und beweisbelastet für die tatsächlichen Umstände, die über die erkannte Zahlungsunfähigkeit hinaus für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und die Kenntnis von diesem erforderlich sind, ist der Insolvenzverwalter.

Vermutung gem. § 133 Abs. 1 S. 2 InsO

Durch das Urteil des BGH ist die Darlegungs- und Beweislast des Insolvenzverwalters zunächst für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners erweitert worden. Dies gilt gleichermaßen im Hinblick auf den Vollbeweis der Kenntnis des Anfechtungsgegners nach
§ 133 Abs. 1 InsO.

Kann der Insolvenzverwalter also aus der ex-post Betrachtung die erhebliche Deckungslücke ohne Aussicht auf Besserung auf Schuldnerseite noch darlegen, stellt sich für den Verwalter das Folgeproblem, dem Anfechtungsgegner eben diese weiteren Umstände nachzuweisen. Im Regelfall hat der Anfechtungsgegner keinen konkreten Einblick in die genaue wirtschaftliche Lage des Schuldners. Das konkrete Ausmaß der Deckungslücke wird in nur wenigen Fällen tatsächlich bekannt sein. Ob der Nachweis also gelingt kann schematisch nicht beantwortet werden, sondern kann nur einzelfallbezogen bewertet werden.

Es steht zu erwarten, dass Verwalter sich zukünftig vermehrt auf die Vermutung des
§ 133 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 S.1 InsO stützen werden, wonach die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz bei kongruenten Deckungen gesetzlich vermutet wird, wenn er die Zahlungsunfähigkeit erkannt hat und zudem weiß, dass die Zahlung die Gläubiger benachteiligt. Folge des Eintritts der gesetzlichen Vermutung ist, dass es nunmehr dem Anfechtungsgegner prozessual obliegt, die Vermutung zu widerlegen und den Beweis des Gegenteils zu erbringen (§ 292 ZPO).

Die Rechtsprechung hatte den Anfechtungsgegner bei erkannter Zahlungseinstellung aufgrund der Fortdauervermutung in der Vergangenheit unbeschränkt für verpflichtet gehalten, die allgemeine Wiederaufnahme der Zahlungen zu beweisen (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 - IX ZR 3/12, WM 2013, 174 Rn. 33).

Dies gilt einschränkend nur noch dann,

  • wenn aus dem Zahlungsverhalten des Schuldners oder anderer zur Kenntnis des Anfechtungsgegners gelangter Umstände auf Liquiditätsschwierigkeiten in einem Ausmaß zu schließen ist, das aus objektiver Sicht eine Sanierung außerhalb eines Insolvenzverfahrens ausgeschlossen oder ein Insolvenzverfahren unabwendbar erscheinen lässt; anders formuliert,
  • wenn das Ausmaß der offenbar gewordenen Illiquidität aus objektiver Sicht in dem nach § 140 InsO maßgeblichen Zeitpunkt erfahrungsgemäß ein Insolvenzverfahren erforderlich erscheinen lässt.

Welche konkreten Anforderungen an die Wiederlegung der Vermutung aber anzulegen sind, bleibt der zukünftigen Rechtsprechung vorbehalten. Konkreter Tatsachenvortrag ist zu erwarten.  

War hingegen nur eine verhältnismäßig geringfügige Verbindlichkeit zu begleichen, kann daraus nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass dieses Unvermögen dauerhaft andauert, wenn der Schuldner auf diese Schuld später Raten (zur Fiktion bei der Ratenzahlungsvereinbarung siehe § 133 Abs. 3 S. 2 InsO) entrichtet. Die Kenntnis von der Gläubigerbenachteiligung wird im Übrigen weiterhin vermutet, wenn dem Anfechtungsgegner die unternehmerische Tätigkeit des Schuldners bekannt war (BGH NJW-RR 2015, 612 (614 f.).

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